Tag 10: Alleine unterwegs?
Heute schlafe ich aus, ich habe schließlich nur knapp 40 Kilometer vor mir. Zugegebenermaßen 40 Kilometer mit viel Wind von vorne und von der Seite, aber was macht das schon.
Die ersten 20 Kilometer fahren sich super, da ich mich noch im Windschatten der Berge verstecken kann. Hinter den Bergen ist Schluss mit Windstille, es braust mir nur so um die Ohren und so fahre ich wahrscheinlich statt der letzten 20 Kilometer weitere 30 Kilometer, da ich die ganze Breite der Straße benutze. Mal wird man fast von der Straße geweht, dann wieder beinahe in den Gegenverkehr.
Richtig gemein wird es dann, als ich kurz vor meinem Etappenziel Stykkishólmur mehrere Kilometer über eine Baustelle fahren muss und die Straße nur einspurig zu befahren ist. Und das ganze bei Rollsplit, das ist ähnlich anstrengend wie durch Sand zu fahren. Der Verkehr wird durch eine Ampel getaktet, sodass man bei den einspurigen Stellen keinen Gegenverkehr hat. Aber so sehr ich mich anstrenge, ich bin doch viel zu langsam und so muss ich ab und an in der Böschung am Seitenrand warten und den Gegenverkehr durchlassen.


Ich komme ziemlich durchgefroren an. Mein Zelt stelle ich heute auf einem Campingplatz am Golfclub auf und im Vereinshaus ist es nicht nur angenehm warm, es gibt auch Wlan und nette Menschen zum Quatschen. Ich lerne einen Amerikaner kennen, der schon mehrere große Fahrradtouren hinter sich hat und er berichtet, dass die jetzige bisher die härteste war. Island sei körperlich und auch mental herausfordernd. Das würde ich mal so unterschreiben. Er sagt mir auch, dass falls ich zwischendurch nicht mehr kann und mich entscheide aufzugeben, dann sei das keine Schande. Damit hat er Recht, aber ich fühle mich aktuell nicht nach aufgeben. Die letzten Tage waren echt schön und auch gar nicht mal sooo anstrengend. Aber ich weiß auch, dass die nächsten Tage härter werden. Morgen geht es in die Westfjorde. Eine der abgelegensten Ecken des Landes, mit wenig Infrastruktur, dafür umso mehr Bergen und Wind.
Auch über das alleine unterwegs sein sprechen wir, ein Thema was mich in den letzten Tagen immer wieder beschäftigt hat und zu dem ich gerne ein paar Gedanken teilen möchte.
Alleine unterwegs zu sein, heißt nicht dass man einsam ist. Ich fühle mich selten wirklich einsam. Viel mehr heißt es, dass man sich Herausforderungen und Situationen erst einmal alleine stellen muss oder zuerst jemanden um Hilfe fragen muss.
Ich wollte ja unbedingt alleine fahren. Ich bin es Leid gewesen, auf andere Rücksicht zu nehmen im Urlaub, ich wollte nicht warten, mich nicht nach jemand anderem richten. Nicht, dass ich das sonst nicht auch gerne für meine Freunde mache, aber jetzt wollte ich mal nur für mich da sein. Mein Tempo, mein Rhythmus, meine Tagesform und das machen auf was ich heute und in diesem Moment Lust habe. Alles ganz viele Vorteile. Dafür kann man all diese Erlebnisse nicht teilen, man freut sich nicht gemeinsam über die Berge die man hochgestrampelt ist, man ist nicht gemeinsam durchgefroren, man isst nicht gemeinsam das fünfte Mal in der Woche Nudeln. Und das ist in Ordnung, weil ich weiß, dass ich gar nicht wirklich alleine bin. Auf der einen Seite lernt man hier ständig neue Leute kennen, wenn man denn möchte und wenn nicht, dann spricht man eben niemanden an. Auf der anderen Seite, weiß ich dass zu Hause so viele liebe und hilfsbereite Menschen sind, die jederzeit Himmel und Erde in Bewegung setzen würden, um mir zu helfen. Und dafür bin ich sehr sehr dankbar und das lässt mich selten einsam werden.