Alleine reisen: Wie ist das eigentlich? Über Höhen und Tiefen in Guatemala

Alleine reisen: Wie ist das eigentlich?

Über Höhen Und Tiefen In Guatemala

Ich bin jetzt seit über 5 Wochen in Guatemala und kurz vor der Grenze zu El Salvador. Ein Land, das so seine Höhen und Tiefen für mich bereit hält. Und damit meine ich nicht nur die Berge und wortwörtlich die Höhen, die ich mich mit dem Fahrrad hinauf quäle und die Tiefen, in die ich hinab sause. Vielmehr meine ich die schönen Erlebnisse und die hilfsbereiten Menschen auf der einen Seite, aber auch die vielen anstrengenden, einsamen Momente und die Probleme die sich manchmal wie unüberwindbare Hürden vor mich stellen.

Warum überhaupt alleine?

Der Hauptgrund war ursprünglich, dass niemand mitkommen wollte. Das sollte aber nicht der Grund sein, warum ich die Reise nicht antrete. Ich kann durchaus verstehen, dass sich Leute besseres vorstellen können, als mit dem Fahrrad durch island oder Mittelamerika zu fahren. Und wer hat schon so lange Zeit? Die wenigsten. Also alleine. 
Ich reise gerne. Das ist wahrscheinlich nichts neues. Ich liebe Aktiv- und Abenteuerreisen. Ich fahre gerne Fahrrad und laufe gerne. Außerdem hasse ich Bus fahren. Das macht die Entscheidung leichter, auf Öffis zu verzichten und dafür das Fahrrad mitzubringen. Dadurch gewinne ich so viel Freiheit, Flexibilität und spare an einigen Ecken auch Geld. Vor allem dieses Gefühl der Freiheit lässt sich gegen nichts aufwiegen. Ich fahre so oft und so weit wie ich das für richtig halte. Dabei muss ich nur auf mich achten. Ich bin ja alleine, also muss ich auch auf niemanden Rücksicht nehmen und keine Kompromisse eingehen.

Wer alleine reist, der verlässt regelmäßig seine Komfortzone. Die Komfortzone zu verlassen steht ab jetzt an der Tagesordnung und wird irgendwann Alltag. An manchen Tagen fällt mir das leicht, an anderen kann ich es nicht. 

Wer alleine reist, lernt viel schneller andere Menschen kennen, Einheimische und andere Reisende. Am Ende des Tages ist man oft nicht allein. Ich habe einige meiner besten Freunden auf Reisen kennengelernt, ohne die mein Leben vielleicht ganz anders aussehen würde. Oft reist man sogar gemeinsam weiter, auch wenn nicht für lange, aber das sind die Momente die für immer im Gedächtnis bleiben

Wer alleine reist, bleibt flexibel und spontan. Man kann täglich entscheiden, wie man sich fühlt, wie das Energielevel ist und auf was man Lust hat. 

Wer alleine reist, wird stressresistenter. Man macht so unfassbar viele verschiedene Erfahrungen, manche gut, manche schlecht. Aber letztlich funktioniert es irgendwie und sobald man das begriffen hat, fällt auch der Stress ab. Auch ein schlechter oder stressiger Tag hat nur 24 Stunden. 

Es ist nicht alles gold was glänzt

Reisen, alleine reisen, hat auch seine Schattenseiten. Das offensichtlichste zuerst: man ist alleine. An einige Tagen würde ich sehr viel dafür geben, mich nach Hause zu beamen und dort mit meinen Freunden einen Kochabend zu veranstalten, bei meinen Eltern auf der Couch vor dem Kamin zu liegen, in den vertrauten Supermärkte einzukaufen und die gewohnte Umgebung um zu haben. Ab und an gibt es Tage, an denen ich mit niemanden ins Gespräch kommen. Das bedeutet nicht automatisch, dass man einsam ist, aber es gibt durchaus den einen oder anderen Moment. Für mich sind das zum Beispiel auch die Momente, die schön sind, in denen ich spektakuläre Landschaften sehe, Wale beobachte oder etwas lustiges passiert. Manchmal wäre es schön, wenn man diese Augenblicke mit jemanden zusammen erlebt und dann später gemeinsam in Erinnerungen schwelgen kann. Wenn ich jetzt von stinkenden Schwefelquellen berichte oder von dem Polarfuchs der mich für einen Kilometer begleitet hat, dann können sich andere das vielleicht etwas vorstellen, aber niemand wird die Nase rümpfen, weil man sich an den Geruch erinnert oder die Landschaft vor sich sehen, durch die der Polarfuchs rennt. 

Was man ebenfalls nicht unterschätzen sollte, ist die Energie die man täglich für diese alltäglichen Dinge aufwenden muss. Klar, zu Hause geht man auch einkaufen, muss kochen, Wäsche waschen. Aber man kennt seine Umgebung dort besser und weiß wo man was findet und muss sich nicht tagtäglich an die gegebenen Bedingungen anpassen. Zudem muss man sich Aktivitäten, Transport und eine Unterkunft organisieren und das ebenfalls täglich. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Energie und die ein oder anderen Nerven. Vor allem wenn man mal einen schlechten Tag hat, kann man diese Aufgaben nicht abgeben. 

 

Sicherheit

Die Sicherheit ist immer ein großes Thema, gerade wenn man als Frau alleine unterwegs ist (dazu folgt noch ein Beitrag). Generell ist es sehr schwierig zu generalisieren, wie die Sicherheit an bestimmten Orten ist. Jedes Land ist unterschiedlich und in den Ländern gibt es auch große Unterschiede, je nachdem in welcher Region, in welcher Stadt, in welchem Viertel und zu welcher Zeit man unterwegs ist. Wir machen alle unterschiedliche Erfahrungen und haben verschiedene Begegnungen mit Menschen. Nur weil ich mich irgendwo sicher und wohl gefühlt habe, heißt das nicht, dass sich jemand anderes dort genauso fühlt. Aber ein paar Regeln lassen sich doch verallgemeinern, die meisten erklären sich von selbst.

1) Bauchgefühl: Immer und damit meine ich immer auf das eigene Bauchgefühl hören. Da gibt es keine Ausnahmen, niemals. Wenn das Bauchgefühl sagt, das passt was nicht. Dann passt da was nicht und man hält sich besser fern. Je länger man reist, desto besser wird das Bauchgefühl und es ist und bleibt der beste Reisebegleiter. 

2) Ausstrahlung: Klingt eventuell etwas spirituell und wird nicht in jeder Situation hilfreich sein, aber wer sich selbstbewusst präsentiert bekommt weniger Probleme. Also immer schön aufrecht gehen und bestimmt handeln. 

3) Aussehen: Das Thema finde ich persönlich heikel. Ich sehe nun einmal so aus, wie ich aussehe und ich will und kann mich nicht verstecken. Ich bin im Schnitt zwei Köpfe größer als die Menschen in Guatemala und das fällt natürlich auf. Aber an die Blicke gewöhnt man sich, immer schön nett lächeln und Hallo sagen. Die meisten sind einfach nur überrascht, dich zu sehen, vor allem in weniger touristischen Gebieten. Einige Männer haben mir empfohlen, immer lange Kleidung zu tragen. Aber bei 40 Grad trägt hier jeder und jede T-Shirts, kurze Hosen, Röcke und Kleider. Und dann mache ich das auch. Irgendwann werden sich hoffentlich auch auch die Männer an kurze Hosen bei Frauen gewöhnen. Allerdings trage ich hier keinen Schmuck, ich habe bis auf meine Sportuhr sämtliche Accessoires zu Hause gelassen. Aber das ist sehr Länder und Reiseform abhängig. In vielen Ländern ist man automatisch reich, wenn man europäisch aussieht. Ob das stimmt, ist ein andere Debatte auf die ich hier an dieser Stelle nicht weiter eingehen werde (das Thema werde ich in einem späteren Beitrag noch aufgreifen)

4) Nach Hilfe fragen: Was ich mir immer wieder vor Augen führe, ist dass die meisten Menschen mir nichts böses wollen. Viele freuen sich, dass ich mich entschieden habe nach Guatemala zu kommen und sind neugierig auf mein Leben oder meine Reisepläne. Wenn ich Hilfe brauche, weil ich zum Beispiel einen Schlafplatz brauche, dann frage ich Frauen, die mit Kindern unterwegs sind. Ein andere gute Anlaufstelle sind das Rote Kreuz, Feuerwehrwachen und die Polizei. Aber auch das ist von Land zu Land unterschiedlich, ich würde der Polizei nicht auf der ganzen Welt trauen. Sobald man die ersten Einheimischen kennengelernt hat, wird es deutlich einfach In der Regel kennen sie jemanden, der wieder jemanden kennt wo man in der folgenden Nacht unterkommen kann. Oder sie haben Empfehlungen für dich und Warnungen für andere Gebiete. Darauf kann man sich verlassen, wenn Einheimische vor bestimmten Dingen warnen, dann sollte man diese ernst nehmen. 

Und was ist jetzt in Guatemala?

Diese Reise verlief bisher anders als ich mir das ausgemalt habe. Nicht alles gefällt mir, aber ich denke das ist normal. Trotzdem fällt es mir schwer. Ich erwische mich immer wieder dabei, dass ich diese Reise mit vorherigen, insbesondere Island, vergleiche. Dabei kann man diese Reisen nicht vergleichen, sind die Länder doch grundlegend verschieden: Landschaft, Straßenverhältnisse, Menschen, Lebensmittel, Verkehr und die Temperatur sind nur wenige Beispiele. 
Was mich am meisten beschäftigt ist aktuell, dass ich kaum Fahrrad fahre. Die ersten zwölf Tage meiner Reise habe ich in Antigua verbracht, dort die Spanischschule besucht, war die ganze Zeit auf Achse und wollte alles mitnehmen. Meinen Aufenthalt wurde von der Besteigung des Vulkans Acatenango gekrönt. Danach bin ich ganze zwei Tage Fahrrad gefahren und danach bin ich fünf Nächte am Lago Atitlán geblieben und habe dort ehrlich gesagt nichts gemacht. Ich musste mich von der Wanderung und den anstrengenden Radtagen erholen. In den Tagen davor sind so viele neue Eindrücke auf mich eingeprasselt, dass ich am See wenig unternommen habe. Im Anschluss ging es nach Xela, dort bin ich sehr krank geworden und konnte mehrere Tage das Bett nicht verlassen, habe keine Menschenseele gesehen und das in der Woche vor Weihnachten. In der Zeit wollte ich wirklich nur noch nach Hause. Ich glaube diesen Wunsch kann jeder nachvollziehen, der auf Reisen krank wird. Als ich wieder einigermaßen fit war, stand Weihnachten schon vor der Tür und ich bin nur ein paar Kilometer gefahren, um mich mit ein paar anderen Radfahrern zu treffen und Weihnachten zu feiern. Dort war es wieder zu schön und ich habe mich zu wohl gefühlt, also blieb ich wieder zwei Nächte länger als geplant. Kaum wieder unterwegs steht schon Silvester vor der Tür und an diesem Wochenende werde ich eindringlich davor gewarnt weiter zu fahren. Alkohol am Steuer wird dieses Wochenende von vielen Einheimischen für absolut vertretbar erklärt und mangels Radwege steht man mit dem Fahrrad blöd dar. So komme ich kaum vorwärts. Obwohl ich an schönen Orten bin, fühle ich mcih trotzdem rastlos und mir fehlt das täglich weiterziehen. 
Das fühlt sich doof an, ich versacke immer wieder und komme gefühlt nicht vom Fleck. Das fällt mir schwer und macht mir zu schaffen. Oft muss ich hier mit dem Gefühl kämpfen, dass ich nicht voran komme und meine Pausentage überhaupt nicht nutze, ich bin so unproduktiv. Aber ist es nicht genau das, was ich wollte? Die Menschen vor Ort kennenlernen, wandern, lesen, am Strand spazieren gehen und ab und zu mal was für die Uni machen? Ich wollte doch mein Spanisch verbessern, das geht nicht, wenn ich nie anhalte und mit den Menschen hier rede. Ich wollte doch wissen, wie das Leben hier so abläuft, das geht nicht, wenn ich nur von Hostel zu Campingplatz düse. Ich wollte doch endlich mal wieder mehr lesen, aber das geht nicht, wenn ich den ganzen Tag auf dem Rad sitze und abends zu erschöpft bin und nach dem Essen direkt schlafen gehe. Ich wollte doch ab und zu auch wandern, laufen und schwimmen gehen, das geht nicht, wenn ich nur Rad fahre. Egal wo ich bisher übernachtet habe, die Leute haben mich mit offenen Armen und einer unglaublichen Gastfreundschaft empfangen. Und ich habe mich überall wohlgefühlt, warum sollte ich da weiterziehen? 
So ganz weiß ich auch nicht, was das Problem ist. Man kann schließlich nicht alles haben und machen. Manche Tage sind zum Radeln, andere zum Ausruhen und lesen. Andere sind zum Organisieren und für die Uni lernen. Eigentlich doch eine verdammt gute Mischung. 

Allein reisen bedeutet die Komfortzone zu verlassen. Dadurch gewinnt man neue Perspektiven, wächst über sich hinaus, findet Freunde fürs Leben und geht ganz anders mit Herausforderungen um. Man lernt die Welt und sich selbst neu kennen, stößt an Grenzen und lernt damit umzugehen. Man lernt ganz anders auf sich, auf seinen Körper und die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu hören und einzugehen. Man wird mental und physisch stärker, selbstbewusster und vertraut sich und seinem Bauchgefühl immer mehr. Ich würde jedem empfehlen alleine reisen zu gehen. Man muss ja nicht gleich auf die andere Seite der Welt fliegen oder alleine den Himalaya hinaufklettern. Ich glaube ein paar Tage an einem neuen Ort reichen schon völlig aus. 

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