Alltag in Antigua
Wenn ich von Antigua spreche, dann meine ich nicht den Inselstaat, sondern die kleine Kolonialstadt etwa 40 Kilometer westlich von Guatemala-Stadt. Die Stadt ist ein beliebtes Ziel für Reisende und Einheimische und so ist hier immer viel los.
Antigua ist auch das erstes Ziel meiner Zentralamerikareise. Aus einem ganz bestimmten Grund möchte ich zuerst in diese lebendige Stadt: hier gibt es jede Menge Spanischschulen. Da ich ewig kein Spanisch mehr gesprochen habe, ist es mehr als notwendig, dass ich meine doch eher rudimentären Sprachkenntnisse aufpoliere. Wahrscheinlich reicht eine Woche dafür gar nicht aus, aber immerhin ist es ein Anfang und danach muss ich selber am Ball bleiben und regelmäßig Vokabeln und Grammatik wiederholen.
Nach dem Horrortrip bis in die Stadt hinein muss ich mich erstmal erholen. Sozusagen Urlaub vom Reisen. Und das schon an Tag drei, na das fängt ja gut an. So richtig gut geht es mir nicht. Das Atmen fällt mir hier irgendwie schwerer. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass mein Hals zu eng wird und nicht genügend Luft und Sauerstoff in meine Lungen gelangt. Antigua liegt auf 1500 Höhenmetern, eigentlich nicht super hoch, aber ich bin nicht mehr als 500 gewohnt. Außerdem habe ich noch immer eine Erkältung, und ich komme mit den ganzen Abgasen hier nicht zurecht, über den Tälern hier hängen immer Smog-Wolken. Nach längeren Reisen außerhalb der Komfort-Zone weiß ich die kleinen Dinge immer mehr zu schätzen. Dieses Mal weiß ich bereits an Tag drei, dass ich die Luftqualität in Deutschland deutlich mehr zu schätzen weiß als ich es bisher tat.
An meinem ersten Tag in Antigua lasse ich es langsam angehen. Um einen ersten Überblick über die Stadt zu bekommen mühe ich mich zuerst die über 300 Stufen zum Cerro de la Cruz hinauf. Von dort kann man die ganze Stadt sehen, die direkt am Fuß des Agua Vulkan liegt.




Danach heißt es alle Stufen wieder hinunter stapfen und ab in die Stadt. Da heute Sonntag ist, ist es ziemlich wuselig und mir ist es doch etwas zu wuselig. So finde ich mich bald in der Cooperación española wieder, hier gibt es neben Ausstellungsräumen auch einen schönen und vor allem ruhigen Innenhof. Nachdem ich ein wenig durch die aktuelle Ausstellung geschlappt bin, traue ich mich wieder in das Chaos hinaus und werde von den Menschen mit auf den Markt gezogen. Hier gibt es wirklich alles: Essen, Lederhandarbeiten, Technik, Möbel, Bilder, Krimskrams und Souvenirs. Ich kann dem Menschenstrom entkommen und finde mich bald in einem Café mit süßem Innenhof wieder.





Heute Abend bin ich zum Kochen mit meinem Warmshower Host verabredet. Eine Willkommene Ausrede mich nicht ins Nachtleben zu stürzen, sondern langsam den Heimweg anzutreten. Es gibt übrigens Spätzle. Wer hätte gedacht, dass ich in Guatemala Spätzle esse? Und dann noch bevor ich die erste Tortilla hatte? Ich jedenfalls nicht.

Am Montag geht der Unterricht in der Spanischschule los. Um acht Uhr stehe ich vor dem Büro, dort werde ich meiner Lehrerin Angela vorgestellt und zusammen gehen wir Richtung Schulgarten. Die Schule hat etwas außerhalb vom Zentrum einen riesigen Garten, in dem der Unterricht stattfindet. Auf dem ganzen Gelände sind kleine Tische verteilt, an denen man lernen und zusammen Grammatik erarbeiten kann. Hier sitze ich für den Rest der Woche jeden Tag von acht Uhr bis 13 Uhr und unterhalte mich mit Angela. Ihr Unterricht besteht fast nur aus Gesprächen, da ich einfach ins Reden hineinkommen muss. Nach und nach kommen tatsächlich zuerst die Vokabeln wieder und am Ende der Woche fallen mir auch langsam die ganzen Vergangenheitsformen der Verben wieder ein. Sie waren also tatsächlich noch in den Tiefen meines Gehirns versteckt. Um zehn Uhr gibt es täglich eine kurze Snack Pause und so habe ich die Chance die anderen Schüler und Schülerinnen kennenzulernen.
Am ersten Schultag ist Angela so lieb und begleitet mich zu meiner Gastfamilie, damit ich mich kurz vorstellen kann und weiß wo ich die nächsten Tage wohnen werde. Alleine wäre ich viel zu schüchtern gewesen. Es ist wirklich wie damals zu Schulzeiten. Nach der Schule läuft man mit seinem Ranzen und Hausaufgaben nach Hause, um sich dann dort an den gedeckten Mittagstisch zu setzen. Die Mama der Gastfamilie heißt Vicky und neben ihrer eigenen zehn (?) köpfigen Familie bekocht sie auch noch bis zu acht Schüler jeden Tag. Und das dreimal pro Tag. Das Haus ist riesig, wir haben alle eigene Zimmer und man teilt sich immer zu dritt ein Bad. Nach dem Mittagessen steht der Nachmittag zur freien Verfügung. Diese sind keineswegs entspannt. Ich dachte ich hätte hier genug Zeit die restliche Reise zu planen. Aber nein, ich springe von Lerntreff zu Lerntreff, danach geht es zur Tanzstunde oder mit den neuen Freunden in eins der vielen Cafés. Nach dem Abendessen ist entweder wieder Tanzen angesagt oder wir laufen einfach quatschend durch die verschiedenen Gassen bis es dunkel wird.









Diese Woche vergeht im Flug, wie ein einziger Augenblick und schon ziehe ich wieder aus, sage der Gastfamilie auf Widersehen und ziehe zurück zu Thomas, dem Warmshower Host. Ich hätte nie gedacht, dass ich hier so schnell Anschluss finde und nach nur einer Woche einen Freundeskreis habe mit inspirierenden und tollen Menschen, die ich auf jeden Fall vermissen werde. Wer hätte gedacht, dass mir nach nur sieben Tagen der Abschied aus der Stadt so schwer fallen könnte? Ich jedenfalls nicht. Ich fühle mich in dieser Stadt sicher und gut aufgehoben. Hier kann man tatsächlich abends bedenkenlos noch mit Freunden ausgehen und danach alleine nach Hause gehen. Hier findet man überall direkt Anschluss, aber auch ruhige Ecken um für sich zu sein. Die Menschen hier sind nett, man wird gegrüßt und hat das Gefühl willkommen zu sein. Das ist nicht überall in Guatemala so, wie ich noch lernen sollte.
Aber noch habe ich die Stadt nicht verlassen. Ich bleibe weitere vier Tage, um den inaktiven Vulkan Acatenango zu besteigen und einen Schulausflug mitzumachen.