It’s not all men, but it’s all women: Alleine als Frau mit dem Fahrrad unterwegs

„Alleine reisen als Frau: Tipps für Sicherheit“. Das ist der erste Treffer, wenn man bei Google die Schlagwörter Solo-Reise als Frau eingibt. Die nachfolgenden Artikel thematisieren alle dasselbe Thema: wie man als Frau auf seine Sicherheit achten kann. Tausche ich bei meiner Google-Suche das Wort Frau gegen Mann, dann sehen die Ergebnisse ganz anders aus. Bei allein reisenden Männern dreht sich alles um das perfekte Reiseziel. Während wir Frauen uns also informieren, wie wir wieder unversehrt nach Hause zurückkehren können, dreht sich bei Männern alles darum das Maximum an Spaß und Erlebnissen aus den Reisezielen herauszuholen.

Auch wenn ich zu Hause von meinen Reiseplänen erzähle, wird meine Vorfreude jedes Mal durch Sorgen um meine Sicherheit von Freunden und Familie gedämpft. Ab und zu muss ich mich dafür rechtfertigen, dass ich alleine reisen will. Als Frau. Und dann noch mit dem Fahrrad. Ich weiß, dass die Sorgen um meine Sicherheit von Herzen kommen und sich die Menschen aufrichtig sorgen. Leider kann ich ihnen die Sorgen nicht nehmen, denn einige sind durchaus berechtigt. Aber das hält mich nicht davon ab alleine zu reisen. Als Frau. Mit dem Fahrrad.

Ich weiß, dass ich ein Risiko eingehe und dass ich in anderen Ländern, in einer Gruppe oder ohne Fahrrad sicherer aufgehoben wäre. Vor meinen Reisen gehe ich immer wieder Horror-Szenarien durch und bereite mich mental darauf vor, was passieren könnte. Wenn es dann doch passiert, hilft das erfahrungsmäßig wenig bis gar nicht.

Wovor habe ich konkret Angst? Natürlich mache ich mir Sorgen, dass ich mechanische oder technische Probleme mit dem Fahrrad bekommen könnte und in dem Moment weit ab von der Zivilisation sein könnte. Wenn ich ehrlich bin, habe ich keinen blassen Schimmer von Fahrrädern, kann gerade einmal einen Schlauch austauschen, aber auch das dauert ewig und danach sehe ich aus, als ob ich in Kettenöl und Dreck gebadet hätte. Ich mache mir Gedanken über Verkehrsunfälle oder dass ich krank werden könnte.

Vor allem aber habe ich Angst vor brenzligen Situationen mit anderen Menschen, um genauer zu sagen mit Männern. Dabei sind die meisten Männer die ich unterwegs treffe nett, hilfsbereit und respektvoll. Aber leider sind nicht alle so. Und genau das ist das Problem: Wir wissen es sind nicht alle Männer, aber es betrifft alle Frauen. In einigen Ländern steht Catcalling auf der Tagesordnung. Das ist an sich keine Situation von der ich Angst haben muss, aber wohl fühle ich mich dabei ganz und gar nicht. Ich fühle mich unwohl, beobachtet und unsicher.

Ich glaube vielen ist es gar nicht so bewusst, wie sich das eigentlich anfühlt, ständig gecatcalled zu werden. Einige meinen es sogar als Kompliment. Alleine der Begriff „Catcalling“ klingt beinahe niedlich und nett, aber niedlich oder nett fühlt es sich nun wirklich nicht an. Eher aufdringlich und manchmal furchteinflößend, gerade wenn man nicht alles versteht oder deutlich in der Unterzahl ist. Man wird regelmäßig auf sein Aussehen oder seine Kleidung reduziert und das fasse ich als Beleidigung auf. Beleidigt fühlen hin oder her, Catcalling löst auch eine Art der Beklemmung und mentalen Angst bei mir aus. Ich fühle mich direkt unsicher und unwohl, meine Herzfrequenz steigt, ich fange an zu schwitzen, fühle mich beobachtet und in meinem Kopf spielen sich Kurzfilme ab, was nicht alles passieren könnte. Und es bleibt die Frage: Was genau erwarten die Männer eigentlich? Dass wir Frauen uns umdrehen, sie abknutschen und sie heiraten? Dass wir sagen: „boah, das ist aber ein toller Mann, den will ich kennenlernen.“?  Dabei ist es einfach nur respektlos und Stress pur. Catcalling ist erst der Anfang.

Einmal wurde ich beim Radfahren in Guatemala verfolgt, eine Situation die mir immer noch zu denken gibt. Ich hatte Glück, das hätte auch anders ausgehen können: Die Straße ging seit Kilometern bergauf und nicht mit einer angenehmen Steigung, sondern dauerhaft über 10%, an einigen Stellen sogar mit über 25% Steigung. Ich hatte bereits 50 Kilometer bei knapp 30 Grad hinter mir und quälte mich Stück für Stück den Berg hinauf. Zwischendurch musste ich absteigen und schieben, weil es einfach zu steil wurde und mein Fahrrad eventuell nicht das leichteste ist und auch keine ausreichend kleinen Gänge besitzt. Ab und an überholte mich ein Auto oder mir kam ein Pick-Up entgegen. Alles wie immer. Bis mir irgendwann ein Mann auffiel, der seinen Hoodie tief ins Gesicht gezogen hatte und der einige Meter hinter mir den Berg hochlief. Erstmal nicht allzu ungewöhnlich. Als ich Pause machte, machte auch er Pause. Dabei mit der einen Hand in der Jackentasche, mit der anderen in der Hose. Ich fuhr weiter, aber er war schneller. Die Straße war wie eine Serpentine in den Berg gebaut und während ich mich über die Straße langsam weiter nach oben quälte, konnte er durch den Busch abkürzen. Immer wenn ich dachte, ich hätte ihn abgehängt, tauchte er wieder hinter mir auf.  Bergauf konnte ich ihn nicht abhängen, also was sollte ich machen? Bergrunter war ich deutlich schneller, also drehte ich um und rollte etwa einen halben Kilometer bergab. Er drehte um und kam mir nach. Ich versuchte diverse Autos anzuhalten, aber keines hielt an. Bis ich mich vor ein Taxi schmiss. Der Fahrer war gezwungen anzuhalten, aber er hatte bereits Fahrgäste und konnte mich nicht mitnehmen. Aber er versprach mir abzuwarten. Ich sollte wieder bergauf fahren und er würde warten, dass der Mann mir nicht folgen konnte. Also wieder bergauf, aber der Mann schlug sich wieder durch die Büsche, hinter mir her. Langsam stieg Panik in mir auf, das Atmen wurde schwerer und ich kämpfte mit den Tränen. Aber es kamen stetig Autos an uns vorbei, so ganz allein war ich nicht auf der Straße. Und dann kam ein Polizei-Pickup. Ich hielt die drei Polizisten an und erklärte die Situation. Keine Minute später lag mein Fahrrad hinten auf der Ladefläche und ich saß auf der Rücksitzbank und wurde nach oben kutschiert. Die Männer waren nett und am Ende wollten sie noch Fotos mit mir machen. Oben auf dem Berg angekommen, ließen sie mich aussteigen und ich konnte den Berg hinunter sausen. Ich war dankbar für die Rettung und der Schock saß noch tief, ich wollte an dem Tag nur noch ankommen. Die Fotos schickten mir die Polizisten nachher bei Whatsapp, damit ich auch eine Erinnerung an den Tag hatte. Als ob ich den so schnell vergessen könnte. Es blieb nicht bei den Fotos. Es kamen immer wieder unangenehme Nachfragen und Sticker. Am Ende habe ich sie blockiert.

Das was mir passiert ist, passiert den meisten Frauen die alleine reisen. Es passiert auch Männern, Menschen die in Gruppen reisen oder Menschen, die gar nicht erst ihre Heimat verlassen. Aber vor allem passiert es uns Frauen. Und das macht mich wütend, richtig wütend. Ich komme in solche Situationen, weil ich eine Vagina habe. Das ist doch unfair.

Und wenn ich dann über diese Situationen spreche, dann erfahre ich oft viel Zuspruch und Unterstützung, manchmal hilfreiche Tipps und alle Frauen mit denen ich spreche haben sehr ähnliche Erfahrungen. Auch einige Männer berichten von Übergriffen und Überfällen, das möchte ich nicht unterschlagen. Aber 100% der Frauen berichten von unanständigem Verhalten von Männern. 100%. Ich habe nicht eine Frau getroffen die länger gereist ist und die nicht eine solche Geschichte zu erzählen hat. Auch zu Hause kenne ich niemanden, die nicht zumindest von Catcalling berichten kann. In einem Gespräch in einem Hostel erzählte ich von meiner „Verfolgsungserfahrung“ und ein Mann berichtete daraufhin, dass ihm auch sein Handy gestohlen wurde und wie schlimm das war. Und so Leid es mir um sein Handy tut, denke ich nicht, dass man ein gestohlenes Handy mit sexueller Belästigung oder der Angst die solche Situationen einer Verfolgung/Catcalling/Belästigung in einem auslösen vergleichen kann.

Aber warum erzähle ich das eigentlich alles? So ganz genau weiß ich es auch nicht. Auf der einen Seite bin ich einfach unfassbar wütend, dass wir uns mit solchen Dummheiten rumschlagen müssen. Tagtäglich. Ob auf Reisen oder zu Hause. Ob mit kurzen Sachen bei 30 Grad oder in Hoodie im Winter. Ob alleine auf dem Fahrrad oder mit Freunden am Bahnsteig. Ob im Beruf oder in der Freizeit. Es ist einfach nervig. Auf der anderen Seite möchte ich auch darauf aufmerksam machen, dass es sich hier nicht um einzelne Vorfälle handelt, sondern dass Catcalling, Belästigung, Missbrauch und Verfolgungen nach wie vor ein Alltagsproblem ist und das überall auf der Welt.