Tag 25: Das Hostel am Rande der Welt
Heute ist es wirklich passiert. Ich bin nach fünf Nächten an ein und demselben Ort wieder aufgebrochen und folge der Küste immer weiter Richtung Norden. Wer hätte gedacht, dass ich hier noch einmal wegfahre? Die Besitzer des Campingplatzes waren sich da auch nicht allzu sicher und meinten ich kann gerne noch bleiben. Es wurden sogar schon Scherze gemacht, dass ich hier noch einen Ehemann kennenlerne. Meine Gegenargumentation, dass ich meinen Freund zu Hause auf jeden Fall nicht gegen einen Isländer tausche, wurde ignoriert. Ohne Ehemann im Schlapptau machte ich mich erst am Nachmittag auf den Weg. Trotzdem so ganz Unrecht hatten sie nicht: ich habe hier tatsächlich Leute getroffen, die mich in den nächsten Tagen begleiten sollte, aber noch wusste ich davon gar nichts. (Mehr dazu dann in einem späteren Bericht).


Kurzer Einschub: Auch wenn die beiden das nie lesen werden, möchte ich danke sagen. Danke dafür, dass ich ganze fünf Nächte den Aufenthaltsraum zu meinem zu Hause umbauen konnte, danke für das ganze Essen und den Tee, den ich literweise bekommen habe. Und dabei habe ich nur zwei Nächte der fünf Nächte bezahlen müssen, damit ich mich wirklich auskuriere und nicht aus Kostengründen weiter fahren würde. Wie großzügig kann man eigentlich sein? Also falls sich einer von euch mal nach Island in die Westfjorde verirrt: den Campingplatz Hveravik kann ich zu 100% empfehlen und das nächste Konzert dort ist am 26. Juli 2024
Zurück zu heute. Nachdem gestern bis nach Mitternacht gefeiert du getanzt wurde, sind die meisten Campingplatzgäste heute nicht vor elf Uhr aus ihren Zelten und Wohnwägen gekrochen. Mich eingeschlossen. Als ich mich zu einem späten Frühstück aufraffen kann, sind die meisten Plätze schon belegt und in der Küche ist es rammelvoll. Macht aber nichts, mir wurde netterweise ein Platz freigehalten und so sitze ich mit der selben Runde wie gestern Abend am Frühstückstisch und bekomme ein interessantes Angebot. Ich werde gefragt, ob ich Lust habe das Fahrrad für die ersten 20 Kilometer gegen ein Auto zu tauschen. Warum nicht denke ich, die Strecke kenne ich bereits vom Hinweg und auf den knackigen Gegenwind kann ich auch für eine kurze Strecke verzichten. Und so lande ich auf dem Beifahrersitz von einem Leihwagen und werde bis Holmavík mitgenommen. Mein Fahrrad wird von einem französischen Jungen dorthin geradelt. Vor Ort tauschen wir wieder und ich bin dankbar, dass meine 70 Kilometer Strecke zu einer 50 Kilometer Strecke wurde. So schnell kann es gehen.
Auf den nächsten knapp 100 Kilometern gibt es keinen Campingplatz, dafür umso mehr Berge und Schotterpisten. Deswegen habe ich mir fest vorgenommen heute eine Nacht wild zu campen und mein Zelt abends einfach an der Küste aufzustellen. In meiner Vorstellung sah das ganze etwa so aus: Ich fahre bis etwa neun Uhr abends, finde eine einigermaßen windgeschützte Stelle für mein Zelt, idealerweise in der Nähe von einem Fluss, damit ich meine Wasservorräte auffüllen kann und dann genieße ich die Ruhe und koche Abendessen, bevor ich in mein Zelt krabbel. Am nächsten Morgen würde ich bei einer heißen Tasse Tee den Ausblick auf das Meer genießen und dann weiterfahren.
Was soll ich sagen, die Realität sah etwa so aus: es wurde richtig ekelig nass und kalt und eine Nebelwand zog auf und machte jede gemütliche Vorstellung von meiner Wildcamping-Idee zunichte. Ich sah mich schon mit der nächsten Erkältung mitten im Nichts in einem Zelt vor Kälte zittern.


Und dann tauchte mitten aus dem Nichts ein Schild auf: Hostel in 500 Metern links abbiegen. Na, wenn das kein Zeichen ist. Dort könnte ich mich kurz aufwärmen und wenigstens Wasser auffüllen und dann überlegen wie es weiter geht. Aber dort eine Nacht zu schlafen würde mein Budget sprengen. Aber einmal reinschauen würde niemanden stören dachte ich und bog links ab.


„You made it!“ wurde ich begrüßt und ich schüttelte den Kopf, die beiden Amerikaner die mich eben noch mit dem Auto überholt hatten dachte ich würde auch hier schlafen und ich erklärte, dass ich keine Nacht gebucht hatte, sondern mich nur kurz aufwärmen wollte. Sie antworteten, dass mit Sicherheit noch Betten frei wären und ich einfach die Frau von der Rezeption anrufen sollte. Ein kurzer Blick auf die Preisliste am Empfang verriet, dass eine Nacht in einem Mehrbettzimmer 40 Euro kostete, ganz normale Hostelpreise und nicht wie der Rest Islands zu teuer. Trotzdem war das mehr, als ich eingeplant hatte und es würde mein Tagesbudget um ein doppeltes übersteigen.
Zu bleiben wäre definitiv die richtige Entscheidung gewesen, bloß nicht wieder krank werden und ein Bett nach drei Wochen zelten ist auch nett und die warme Dusche erst… Aber der Blick aufs Konto wollte mich zum Gehen bringen. Und was macht man in so einer Situation, wenn man vernünftig sein sollte aber zu geizig ist? Man ruft seine Mama an. Und Mütter haben ja bekanntlich immer Recht und so blieb ich.
Das Hostel befindet sich in Broddanes, direkt auf den Klippen mit Blick auf das Meer. Ich habe mich ein wenig gefühlt, als ob ich eine Figur in dem Buch „Das Café am Rande der Welt“ sei, nur statt des Cafés war es ein Hostel, das genau so unverhofft auftauchte. Abgesehen von mir waren noch sechs weitere Gäste da. Vater und Sohn aus Amerika, die eine kleine Islandrundreise machten, zwei Holländer, die ebenfalls mit dem Rad unterwegs waren und die Westfjorde erkunden wollten und zwei Spanier, die sich etwas abseits hielten. Es wurde ein langer Abend, mit Gesprächen über Gott und die Welt, mal mehr, mal weniger philosophisch.
Um Mitternacht liege ich dankbar in einem Bett mit viel zu weicher Matratze und bin froh, dass ich hier geblieben bin. Ich bin froh, dass ich heute Abend nicht allein war und sich so gute Gespräche ergeben haben. Und ich bin so dankbar, dass ich heute Nacht unter der dicken Decke definitiv nicht frieren werde.



