Weihnachten in Guatemala
Ich habe selten Heimweh. Eigentlich nie. Uneigentlich hatte ich 2016 einmal Heimweh, als ich in Australien war. Normalerweise leide ich eher unter Fernweh und plane die nächste Reise, bevor ich wieder zu Hause bin.
Trotzdem gibt es Tage oder Momente in denen ich mein eigenes Bett, meine Routine, meine Freunde und gewohnte Umgebung vermisse. Die perfekte Voraussetzung für Heimweh ist krank sein auf Reisen oder wenn Feiertage anstehen.
In der Woche vor Weihnachten wurde ich krank. So richtig krank. Um es kurz zu fassen: ich habe mir die Seele aus dem Leib gekotzt, die ganze Nacht lang, bis ich vor Erschöpfung im Bad eingeschlafen bin, nur um vor Übelkeitswellen wieder aufzuwachen.
Aber von vorne. In der Woche vor Weihnachten habe ich den Lago Atitlán verlassen und radelte Richtung Norden nach Quetzaltenango. Dort kam ich bei Carl, einem Warmshower-Host, unter. Carl hat einen riesigen Garten mit über 100 verschiedenen Baumarten und mitten in diesem Wald steht ein Rundhaus, das als Gästehaus dient. Dort wollte ich drei oder vier Nächte bleiben und ein paar Wanderungen in der Nähe unternehmen. Carl ist eigentlich Amerikaner, wohnt aber schon seit über dreißig Jahren in Guatemala und hat dort eine Organisation gegründet, die jungen Frauen helfen soll ein Studium zu beginnen und auch zu beenden.
Normalerweise war ich abends und nachts allein in dem Rundhaus, aber an einem Abend kamen ein paar der Mädchen vorbei und wir kochte zusammen. Und irgendetwas habe ich davon absolut nicht vertragen. Wenn ich raten müsste was es war, dann würde ich auf das Maisbrot tippen. Jedes Mal wenn ich nur daran denke, wird mir wieder ganz flau. Und das bringt uns wieder zu dem Moment im Bad. Ich muss dazu sagen, dass es dort nachts sehr kalt wurde, wir sprechen hier von minus sechs Grad und das Bad war außerhalb vom Haus und hatte keine Heizung. So verbrachte ich dort zitternd eine ganze Nacht, ob vor Kälte oder Erschöpfung kann ich rückblickend nicht sagen.




Die nächsten drei Tage lag ich nur im Bett und konnte mich vor Erschöpfung kaum bewegen. Alles was ich nur ansah, kam direkt wieder hoch. Nicht einmal Wasser konnte ich trinken ohne gegen den erneuten Brechreiz anzukämpfen. Ich war kurz davor Carl zu beten, mich ins Krankenhaus zu bringen, damit ich eine Infusion mit Flüssigkeit bekommen könnte. Ich wollte echt nur noch in mein eigenes Bett, mit Wärmflasche und Tütensuppe. Der Wunsch ging sogar so weit, dass ich mir die Bestimmungen für medizinischen Transport meiner Krankenversicherung genauer durchlas. Eine Lebensmittelvergiftung ist übrigens kein ausreichender Grund, egal wie elend man sich fühlt.
Der Wunsch nach Hause zu fliegen wurde durch all die weihnachtlichen Fotos aus der Heimat nicht unbedingt weniger. Wie viel hätte ich in dem Moment dafür gegeben mit meinen Freunden auf dem Weihnachtsmarkt zu frieren, überteuerte gebrannte Mandeln zu essen und Kinderpunsch zu schlürfen. Sehr viel. Auf einmal war der Wunsch mit meiner Familie Plätzchen zu backen, mit Freunden Weihnachtsfilme zu schauen und heiße Schokolade zu trinken sehr groß.
Langsam musste ich mich entscheiden wie es weiter gehen sollte. Sollte ich wirklich nach Hause fliegen bevor die Reise überhaupt angefangen hatte? Sollte ich die Einladung von einem Freund annehmen Weihachten mit ihm und seiner Familie Weihnachten in Florida zu feiern? Sollte ich alleine bei Carl im Rundhaus bleiben? Die erste Option kam nicht infrage, da man niemals eine Reise an einem schlechten Tag abbrechen sollte. Die zweite Option war einfach zu teuer und allein bleiben kam auch überhaupt nicht in Frage. Also musste noch eine Option her. Und diese Option hieß Ana. Ana kannte ich ebenfalls über Warmshowers und ich hatte sie vor meiner Abreise nach Guatemala angeschrieben und sie nach Tipps für meine Reise und Route gefragt. Sie hatte mir nicht geantwortet. Aber als ich wie ein Häufchen Elend im Bett lag, bekam ich doch noch eine Antwort und sie lud mich zu sich nach Hause ein, falls ich in der Nähe sei. Und wie ich in der Nähe war, uns trennten etwa 20 Kilometer.
Als sich mein gesundheitlicher Zustand langsam besserte und ich wieder einigermaßen in der Lage war mich zu bewegen und Rad zu fahren, schwing ich mich am 23. Dezember endlich wieder auf mein Rad, verabschiedete mich von Carl und radelte weiter Richtung Quetzaltenango zu Ana.



Ana hat ein riesiges Grundstück und in ihrem Garten stehen einige Bungalows, eins davon ist für Radreisende bestimmt und hat alles was man sich nur wünschen kann: eine Küche, bequeme Betten und eine warme Dusche. Es gibt nur keine Türen, abgesehen von der Haustür, und so kann man beim Duschen immer schön die anderen Gäste im Schlafzimmer sehen…
Ich war nicht der einzige Gast bei Ana. Zusammen mit Lode aus Belgien und Piña aus Tschechien durfte ich in dem Bungalow schlafen. Piña heißt eigentlich gar nicht so, aber er meinte sein Name sei zu kompliziert und die Kurzform würde so ähnlich klingen, also sollten wir ihn einfach Piña nennen. Piña heißt Ananas. Die beiden waren bereits einige Tage bei Ana, Piña weil er sein Rad reparieren musste und Lode hatte eine kleine Kiefer-OP hinter sich und musste darauf warten, dass die Fäden gezogen werden können. Die beiden waren super lieb und nahmen mich direkt mit in die Runde mit auf.
Ich war so froh, endlich nicht mehr alleine sein zu müssen. Und neben der menschlichen Gesellschaft gab es bei Ana auf dem Grundstück noch ein paar Schafe und jede Menge süße Hunde, so schnell würde mir hier nicht langweilig werden. Um ein bisschen in Weihnachtsstimmung zu kommen, durfte ich den kleinen Holzweihnachtsbaum im Garten schmücken, mit den buntesten und schrillsten Lichtern die ich je gesehen habe, einige davon in Kaktusform. Aber besser als kein Weihnachtsbaum.
Am 24. Wollten wir abends zusammen bei Ana im Wohnzimmer essen, jeder sollte dazu etwas vorbereiten und mitbringen. Piña und ich wurden einkaufen geschickt und wagten uns in das überfüllte Einkaufszentrum und in den aus allen Nähten platzenden Supermarkt. Ich habe noch nie so lange am Stück in einem Supermarkt verbracht, aber am Ende haben wir fast alles gefunden, was auf unserer Einkaufsliste stand.
Abends versammelten wir uns bei Ana vor dem Kamin im Wohnzimmer. Und es war sogar so kalt, dass wir den Kamin anfeuern konnten, es fühlte sich tatsächlich an wie Weihnachten. Das Essen war vielleicht nicht das, was wir typischerweise essen, sondern aus aller Welt zusammengewürfelt. Als Snacks vorweg gab es Guacamole mit Brot und Karotten zum dippen. Als Vorspeise folgten Tamales. Tamales bestehen aus einem Maisteig-Mix und sind klassischerweise mit Fleisch und Gemüse gefüllt. Sie sind in Pflanzenblättern gehüllt, die man jedoch nicht mitessen kann. Ich stocherte um das Fleisch herum, über das sich Piña umso mehr freute. Als Hauptspeise hatte Lode ein marokkanisches Gericht vorbereitet (das hatte er auf einer seiner letzten Radreisen gelernt). Es gab einen Couscous-Gemüse Eintopf. Allerdings hatten Piña und ich keinen Couscous gefunden und daher gab es stattdessen Quinoa, auch gut. Dazu hatte Lode eine scharfe Soße vorbereitet, die angeblich nur ein bisschen scharf sei. Ana und ich verbrachten den restlichen Abend damit vor Schärfe zu weinen. Und als Nachtisch durfte Eis natürlich nicht fehlen, wobei ich die Einzige war, die noch Kapazitäten dafür hatte.
Ich muss im Nachhinein sagen, dass das die beste Entscheidung die ich hätte treffen können. Ich habe mich in der Runde sehr wohl gefühlt und endlich wieder Leute um mich, die auch mit dem Fahrrad reisen. Gerade die Gespräche mit Ana haben mir sehr gutgetan. Sie war selber lange und oft mit dem Fahrrad in der Weltgeschichte unterwegs und es tat gut mit einer anderen Frau über die bisherigen Erlebnisse zu reden, vor allem über die negativen. Sie machte mir Mut weiter zu machen und bestärkte mich in meinem Vorhaben, weiter Richtung Süden zu radeln.








